Artikel aus den Stuttgarter Nachrichten vom 05.06.2004
Bei Tempo 200 bremste das Auto plötzlich selbsttätig
ab

Mercedes-Fahrer berichten über ihre Ärgernisse
mit der E-Klasse und ihre Versuche, das Fahrzeug zurückzugeben
Kinderkrankheiten, Montagsautos: Die seit Anfang 2002 ausgelieferte
Mercedes-E-Klasse scheint stärker als andere Modelle
und Marken von Elektronikproblemen heimgesucht zu werden.
Dies zeigen etliche Fälle, denen unsere Redaktion nachgegangen
ist:
Ralf Heun aus Limburg hat seinen E 270 CDI im Juli 2002 gekauft.
Bis Januar 2004 brachte er es damit auf 44 Werkstattaufenthalte
(einschließlich Inspektionen). Dreimal nahm er einen
Abschleppdienst in Anspruch. An seinem Fahrzeug gingen folgende
Elemente kaputt (zum Teil mehrfach): Klimaelektronik, Druckschlauch
Treibstoffzufuhr, Keilriemen locker, Injektoren, Heizungssteuerung,
Fußraumbeleuchtung, Radio-, Freisprech- und CD-Wechsler-Kombigerät,
Steuergerät für die Instrumententafel, Druckregelventil
für die Dieseleinspritzung, Turbolader, Scheibenwischer,
Servolenkung, Xenon-Scheinwerfer, Navigationssystem. Im Februar
2004 hat er sein Auto zurückgegeben.
Ganz ähnlich klingt die Odyssee von Jörg Carda
aus Berlin. Mit seinem 270 CDI war er seit dem Kauf im Januar
2003 mehr als ein Dutzend Mal in der Werkstatt. Auch bei ihm
streikten nahezu alle elektronischen Geräte mehrfach.
Ob Radio, Telefon, Beleuchtung, Multikonturensitz, Lüftung,
Heizung oder Turbolader: Immer wieder verweigerte ein Teil
den Dienst. Weil er sich mit seiner Niederlassung nicht über
die Fahrzeugrücknahme einigen konnte, reichte er im November
2003 Klage beim Landgericht Stuttgart ein. Bei der Verhandlung
am 13. Mai 2004 kam es zu keiner Einigung über den Wandlungspreis.
Nun soll ein Gutachter prüfen, ob die mannigfaltigen
Probleme immer auf dieselbe Ursache zurückzuführen
sind.
Eine lange Leidensgeschichte hat der Berliner Taxifahrer
Fatih Akyürek hinter sich. In gut einem Jahr fiel an
seinem 200 CDI insgesamt 26-mal das Abblendlicht aus. Das
Audio- und Navigationssystem streikte dreimal, der Motor mehrmals.
Sprachfunkfehler, selbsttätig öffnende Schließfächer,
eine defekte Heizung und ein nicht schaltendes Automatikgetriebe
erschwerten seinen Berufsalltag. Zurzeit bemüht er sich
auf juristischem Wege um eine Rücknahme des Autos.
Relativ problemlos hat der Münchner Thomas Prause
seinen ersten 320 CDI zurückgeben können - nachdem
das Glasdach trotz dreimaliger Reparatur immer noch undicht
war. Doch auch an seinem zweiten Fahrzeug gleichen Typs hatte
er wenig Freude. Weil die Probleme mit dem Soundsystem nicht
in den Griff zu bekommen waren, hat Mercedes nach juristischem
Hickhack nun einer erneuten Wandlung zugestimmt. Trotzdem
ist Prause, wie viele andere Fahrer auch, immer noch ein großer
Fan der neuen E-Klasse: "Das eigentliche Problem ist
nicht das Auto, sondern die Werkstatt, die die Fehler oft
lange ignoriert."
Auch Arash Asadi aus Lüdenscheid hat sich über
das "Benehmen in der Werkstatt" geärgert. Seit
er im August 2003 einen 270 CDI gekauft hat, schlägt
er sich mit dröhnenden Lautsprechern herum. Aussagen
wie "das Auto ist kein Konzertsaal" bringen ihn
angesichts eines Kaufpreises von 50 000 Euro auf die Palme.
Als ihn der Kundenberater bat, wegen des Problems nicht mehr
anzurufen, hat er im März einen Brief an Konzernchef
Schrempp geschrieben. Die förmliche Antwort, sein Auto
sei doch in einem einwandfreien technischen Zustand, hat ihn
erneut erzürnt. Nun will er die Rücknahme des Fahrzeugs
einklagen: "Es ist nicht schön, dass ich diesen
Weg gehen muss."
Schlechte Erfahrungen mit seinem Autohaus hat auch Joachim
Frank (Ebersbach/Fils) gemacht. Dort hat er, nach mittlerweile
rund 50 Werkstattbesuchen und zwölf Abschleppaktionen
innerhalb eines Jahres, nach eigenen Angaben mittlerweile
Hausverbot. Ohne Erfolg war immer wieder versucht worden,
die Ursache für die mehrmaligen Zusammenbrüche der
Energieversorgung vor allem bei niedrigen Außentemperaturen
zu beheben. Immerhin hat Daimler das Auto inzwischen zurückgenommen,
die formelle Wandlung wird derzeit abgewickelt. Die Marke
jedoch, so Frank, sei für ihn nach 20 Jahren als Kunde
gestorben.
Steffi Wagner aus Kerpen hat ihre Fahrzeugrückgabe bereits
vor dem Landgericht Essen durchgeboxt. Innerhalb eines halben
Jahres fielen an ihrem 270 CDi unter anderem die Airbags,
das Navigationssystem und das Schiebedach aus. Einmal bremste
das Fahrzeug bei Tempo 200 auf der Überholspur selbsttätig
auf 30 herunter. Sie hat sich darüber geärgert,
dass Mercedes bei der Rücknahme auf Zeit gespielt habe.
Der Berliner Anwalt Andreas Böhm vertritt nach eigenen
Angaben über 30 E-Klasse-Fahrer in ihrem Bemühen,
ihr Mängelfahrzeug wieder zurückzugeben. Auch er
hat das Spiel auf Zeit beobachtet. Allerdings, so räumt
er ein, sei Daimler in den letzten Wochen häufiger bereit
gewesen, die Dinge außergerichtlich zu regeln.
DaimlerChrysler wollte auf Anfrage keine Angaben zu den genannten
Fällen und der Zahl der Wandlungen machen.
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